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Gold - Pirate Latitudes Page 3
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Page 3
»Sir James –«
»Und zu guter Letzt«, sagte Almont, »zu guter Letzt obliegt mir noch eine unausgesprochene Aufgabe, nämlich dem Hofe von Philipp IV. so viele Reichtümer abspenstig zu machen, wie es in meiner Macht steht. Auch das ist in den Augen Seiner Majestät – privatim, privatim – ein hohes Ziel. Zumal so viel von dem Gold, das Cadiz nicht erreicht, in London landet. Daher wird Freibeuterei offen begünstigt. Piraterie indes nicht, Mr Hacklett. Und das ist nicht bloß Wortklauberei.«
»Aber Sir James –«
»Die nüchternen Fakten der Kolonie dulden keine Diskussion«, sagte Almont, der wieder hinter dem Schreibtisch Platz nahm und seinen Fuß erneut auf das Kissen bettete. »Denken Sie in Ruhe über das nach, was ich Ihnen erläutert habe, und Sie werden verstehen – davon bin ich überzeugt –, dass ich aus Erfahrung spreche und die Dinge mit der rechten Einsicht beurteile. Seid doch so freundlich, mir heute Abend beim Dinner mit Captain Morton Gesellschaft zu leisten. Bis dahin werdet Ihr mit dem Bezug Eurer Unterkunft sicherlich noch ausreichend beschäftigt sein.«
Das Gespräch war offensichtlich beendet. Hacklett und seine Frau standen auf. Hacklett verbeugte sich knapp, förmlich. »Sir James.«
»Mr Hacklett. Mrs Hacklett.«
Die beiden verließen den Raum. Der Berater schloss die Tür hinter ihnen. Almont rieb sich die Augen. »Du lieber Himmel«, sagte er kopfschüttelnd.
»Möchtet Ihr Euch jetzt ausruhen, Euer Exzellenz?«, fragte John.
»Ja«, sagte Almont. »Ich möchte mich ausruhen.« Er erhob sich von seinem Schreibtisch und ging den Flur hinunter zu seinen Gemächern. Als er an einer Tür vorbeikam, hörte er Wasser in eine Eisenwanne platschen und das Kichern einer Frau. Er blickte John an.
»Das Hausmädchen wird gebadet«, sagte John.
Almont stieß ein Brummen aus.
»Wünscht Ihr, sie später in Augenschein zu nehmen?«
»Ja, später«, sagte Almont. Er blickte John an und spürte einen Anflug von Belustigung. John war offenbar noch immer verängstigt wegen der Hexereianschuldigung. Die Ängste des gemeinen Volks, dachte er, waren ebenso stark wie töricht.
KAPITEL 5
Anne Sharpe entspannte sich im warmen Badewasser und lauschte dem Geplapper der riesigen schwarzen Frau, die im Raum hin und her eilte. Anne konnte kaum ein Wort verstehen von dem, was die Frau sagte, obwohl sie offenbar Englisch sprach. Ihr singender Tonfall und ihre ulkige Aussprache klangen überaus seltsam. Die schwarze Frau sagte irgendetwas darüber, was Gouverneur Almont doch für ein gütiger Mensch sei. Anne Sharpe machte sich keine Sorgen wegen Gouverneur Almonts Güte. Sie hatte schon in ganz jungen Jahren gelernt, mit Männern fertig zu werden.
Sie schloss die Augen, und der Singsang der schwarzen Frau wurde in ihrem Kopf durch das Läuten von Kirchenglocken verdrängt. Irgendwann hatte sie begonnen, diesen monotonen, unaufhörlichen Klang zu hassen, in London.
Anne war das Jüngste von drei Kindern, die Tochter eines Matrosen, der nach seinem Abschied von der See Segelmacher in Wapping geworden war. Als kurz vor Weihnachten die Pest ausbrach, hatten ihre zwei älteren Brüder sich als Wächter verdingt. Sie standen vor den Türen pestbefallener Häuser und sorgten dafür, dass keiner der Bewohner herauskam. Anne selbst arbeitete als Pflegerin für verschiedene wohlhabende Familien.
Im Laufe der Wochen verschmolzen die schrecklichen Dinge, die sie gesehen hatte, in ihrer Erinnerung. Die Kirchenglocken läuteten Tag und Nacht. Sämtliche Friedhöfe waren überfüllt; bald wurden die Toten nicht mehr einzeln bestattet, sondern in tiefen Massengräbern, wo sie hastig mit Kalk und Erde bedeckt wurden. Wenn die Totenkarren, auf denen sich die Leichen türmten, durch die Straßen gezogen wurden, blieben die Totengräber vor jedem Haus stehen und riefen: »Bringt eure Toten heraus.« Der Verwesungsgeruch war allgegenwärtig.
Die Angst ebenso. Einmal sah sie, wie ein Mann auf der Straße tot umfiel und sein dicker Geldbeutel klimpernd neben ihm landete. Scharen von Menschen gingen an dem Toten vorbei, doch niemand wagte es, die Geldbörse aufzuheben. Selbst als der Leichnam später weggekarrt wurde, blieb der Geldbeutel unangetastet.
Auf allen Märkten hatten die Lebensmittel-und Fleischhändler Schüsseln mit Essig neben ihren Waren stehen. Die Kunden warfen die Münzen in den Essig; nicht eine Münze wurde von Hand zu Hand gereicht. Alle bemühten sich, das Geld passend zu haben.
Nach Amuletten, billigem Schmuck, Zaubertränken und -sprüchen herrschte eine rege Nachfrage. Anne selbst kaufte sich ein Medaillon, das irgendein übel riechendes Kraut enthielt, aber angeblich die Pest abwehrte. Sie trug es ständig.
Und doch starben die Menschen weiter. Ihr ältester Bruder erkrankte an der Pest. Eines Tages traf sie ihn auf der Straße. Sein Hals war geschwollen und mit dicken Beulen übersät, und sein Zahnfleisch blutete. Sie sah ihn nie wieder, aber sie vermutete, dass er gestorben war.
Ihren anderen Bruder ereilte das übliche Wächterschicksal. Während er eines Nachts ein Haus bewachte, liefen die eingeschlossenen Bewohner plötzlich Amok, weil die Krankheit ihnen den Verstand raubte. Sie brachen aus und töteten Annes Bruder mit einer Pistolenkugel. Sie hatte nur davon gehört; gesehen hatte sie ihn nicht.
Schließlich wurde auch Anne in einem Haus eingesperrt, das der Familie eines Mr Sewell gehörte. Sie pflegte die ältere Mrs Sewell – die Mutter des Hausbesitzers –, als sich bei Mr Sewell die Schwellungen zeigten. Das Haus wurde unter Quarantäne gestellt. Anne pflegte die Kranken, so gut sie konnte. Einer nach dem anderen in der Familie erkrankte und starb. Die Leichen wurden den Totenkarren übergeben. Schließlich war sie ganz allein im Haus und wie durch ein Wunder noch immer bester Gesundheit.
Erst da stahl sie ein paar Goldsachen und die wenigen Münzen, die sie finden konnte, floh dann in der Nacht durch das Fenster im ersten Stock und über die Dächer Londons. Ein Wachtmeister griff sie am nächsten Morgen auf und wollte wissen, woher ein junges Mädchen so viel Gold hatte. Er nahm das Gold und steckte sie ins Zuchthaus Bridewell.
Dort schmachtete sie einige Wochen lang, bis Lord Ambritton, ein wohltätiger Gentleman, bei einem Rundgang durch das Zuchthaus auf sie aufmerksam wurde. Anne hatte längst die Erfahrung gemacht, dass Gentlemen ihren Anblick ansprechend fanden. Lord Ambritton bildete da keine Ausnahme. Er sorgte dafür, dass sie in seine Kutsche gesetzt wurde, und nach einigen Tändeleien ganz nach seinem Geschmack versprach er ihr, sie in die Neue Welt zu schicken.
Kurz darauf war sie auch schon in Plymouth und dann an Bord der Godspeed. Während der Fahrt hatte Captain Morton, jung und kraftvoll, wie er war, an ihr Gefallen gefunden, und da er ihr in seiner Kajüte frisches Fleisch und andere Leckerbissen zu essen gab, war sie hocherfreut, ihn näher kennenzulernen, was sie fast jede Nacht tat.
Jetzt war sie hier, an diesem neuen Ort, wo alles fremd und unbekannt war. Aber Angst hatte sie keine, denn sie war sicher, dass der Gouverneur sie mochte, genau wie die anderen Gentlemen sie gemocht und sich um sie gekümmert hatten.
Nach dem Baden zog man ihr ein gefärbtes Wollkleid und eine Baumwollbluse an. Es waren die schönsten Sachen, die sie seit über drei Monaten getragen hatte, und es war ein schönes Gefühl, den Stoff auf der Haut zu spüren. Die Schwarze öffnete die Tür und forderte sie mit einem Wink auf, ihr zu folgen.
»Wohin gehen wir?«
»Zum Gouverneur.«
Sie wurde einen großen, breiten Flur hinuntergeführt. Der Boden war aus Holz, aber uneben. Sie fand es seltsam, dass ein so wichtiger Mann wie der Gouverneur in einem so primitiven Haus wohnte. Viele einfache Gentlemen in London hatten elegantere Häuser als das hier.
Die Schwarze klopfte an eine Tür, und ein anzüglich dreinblickender Schotte öffnete sie. Dahinter sah Anne ein Schlafgemach. Der Gouverneur stand in einem Nachthemd neben dem Bett und gähnte. Der Schotte bedeutete ihr mit einem Nicken einzutreten.
»Aha«, sagte der Gouverneur. »Mistress Sharpe. Ich muss sagen, Eure äußere Erscheinung hat sich durch Eure Ablutionen deutlich verbessert.«
Sie wusste nicht genau, wovon er sprach, aber wenn er zufrieden war, dann war sie es auch. Sie machte einen Knic
ks, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte.
»Richards, Ihr könnt uns allein lassen.«
Der Schotte nickte und schloss die Tür. Sie war mit dem Gouverneur allein. Sie beobachtete seine Augen.
»Hab kein Angst, meine Liebe«, sagte er mit gütiger Stimme. »Du hast nichts zu befürchten, Anne. Komm her ans Fenster, wo das Licht gut ist.«
Sie tat wie geheißen.
Er betrachtete sie einige Augenblicke lang schweigend. Schließlich sagte er: »Du weißt, du wurdest in deinem Prozess der Hexerei bezichtigt.«
»Ja, Sir. Aber das stimmt nicht, Sir.«
»Da bin ich ganz sicher, Anne. Aber es wurde behauptet, du trägst die Stigmata eines Paktes mit dem Teufel.«
»Ich schwöre, Sir«, sagte sie, und zum ersten Mal wurde sie unruhig. »Ich habe nichts mit dem Teufel zu schaffen, Sir.«
»Ich glaube dir, Anne«, sagte er mit einem Lächeln. »Aber es ist meine Pflicht, mich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass keine Stigmata vorhanden sind.«
»Ich schwöre es Euch, Sir.«
»Ich glaube dir«, sagte er. »Aber du musst deine Kleidung ablegen.«
»Jetzt, Sir?«
»Ja, jetzt.«
Sie sah sich ein wenig ungläubig im Raum um.
»Du kannst deine Sachen aufs Bett legen, Anne.«
»Ja, Sir.«
Er sah ihr beim Entkleiden zu. Sie bemerkte, was sich in seinen Augen abspielte. Sie hatte keine Angst mehr. Die Luft war warm, sie fühlte sich auch ohne Kleidung wohl.
»Du bist ein wunderschönes Kind, Anne.«
»Danke, Sir.«
Sie stand nackt da, und er trat näher. Er blieb stehen, um die Brille aufzusetzen, und dann sah er sich ihre Schultern an.
»Dreh dich langsam.«
Sie drehte sich für ihn um. Er inspizierte ihre Haut. »Heb die Arme über den Kopf.«
Sie hob die Arme. Er untersuchte beide Achselhöhlen.
»Die Stigmata sind normalerweise unter den Armen oder auf der Brust«, sagte er. »Oder auf der Vulva.« Er lächelte sie an. »Du weißt nicht, wovon ich rede, nicht wahr?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Leg dich aufs Bett, Anne.«
Sie legte sich aufs Bett.
»Wir werden nun die Untersuchung abschließen«, sagte er ernst, und dann waren seine Finger in ihrem Haar, und er betrachtete ihre Haut, die Nase nur wenige Zentimeter entfernt von ihrer Scham, und obwohl sie fürchtete, ihn zu kränken, fand sie es lustig – es kitzelte – und sie musste lachen.
Er blickte sie einen Augenblick lang erbost an, und dann lachte er auch und dann begann er, sich die Kleider vom Leib zu reißen. Er nahm sie mit der Brille noch auf der Nase. Sie spürte den Druck des Drahtgestells auf ihrem Ohr. Sie ließ ihn gewähren. Es dauerte nicht lange, und danach wirkte er zufrieden, und daher war sie auch zufrieden.
Sie lagen zusammen im Bett, und er erkundigte sich nach ihrem Leben und ihren Erfahrungen in London und nach der Überfahrt aus England. Sie schilderte ihm, wie die meisten Frauen sich miteinander oder mit Angehörigen der Mannschaft amüsiert hätten, aber sie hatte das nicht getan, sagte sie – was nicht ganz stimmte, aber sie war ja nur mit Captain Morton zusammen gewesen, also stimmte es beinahe. Und dann erzählte sie ihm von dem Sturm, der ausgebrochen war, als sie gerade vor den Westindischen Inseln Land gesichtet hatten. Und dass der Sturm sie zwei Tage lang hin und her geworfen hatte.
Sie merkte, dass Gouverneur Almont ihrer Geschichte keine große Aufmerksamkeit schenkte. Seine Augen hatten wieder diesen komischen Ausdruck bekommen. Sie redete trotzdem weiter. Sie erzählte, dass nach dem Sturm ein klarer Tag gewesen war und sie Land gesichtet hatten mit einem Hafen und einer Festung und einem großen spanischen Schiff im Hafen. Und dass Captain Morton große Sorge vor einem Angriff durch das spanische Kriegsschiff gehabt hatte, das das Handelsschiff ganz bestimmt gesichtet hatte. Aber das spanische Schiff hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
»Was?«, sagte Gouverneur Almont fast kreischend. Er sprang aus dem Bett.
»Was ist?«
»Ein spanisches Kriegsschiff hat euch gesehen und hat nicht angegriffen?«
»Nein, Sir«, sagte sie. »Wir waren heilfroh, Sir.«
»Heilfroh?«, rief Almont, als traute er seinen Ohren nicht. »Ihr wart heilfroh? Allmächtiger! Wie lang ist das her?«
Sie zuckte die Achseln. »Drei oder vier Tage.«
»Und es war ein Hafen mit einer Festung, sagst du?«
»Ja.«
»Auf welcher Seite war die Festung?«
Sie war verwirrt. Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Na«, sagte Almont und zog sich hastig an, »als du auf die Insel und den Hafen geblickt hast, war die Festung da rechts vom Hafen oder links?«
»Auf dieser Seite«, sagte sie, mit dem rechten Arm deutend.
»Und die Insel hatte einen hohen Gipfel? Eine sehr grüne Insel, sehr klein?«
»Ja, ganz genau, Sir.«
»Heiliger Strohsack«, sagte Almont. »Richards! Richards!«
»Holt Hunter!« Und schon stürzte der Gouverneur aus dem Zimmer und ließ sie nackt auf dem Bett zurück. Überzeugt davon, dass sie ihn verärgert hatte, brach Anne in Tränen aus.
KAPITEL 6
Es klopfte an der Tür. Hunter wälzte sich im Bett auf die andere Seite. Er sah das offene Fenster, durch das Sonnenlicht hereinströmte. »Verschwinde«, knurrte er. Die junge Frau neben ihm bewegte sich unruhig, wurde aber nicht wach.
Wieder klopfte es.
»Verschwinde, Herrgott noch mal.«
Die Tür ging auf, und Mrs Denby schob den Kopf herein. »Ich bitte um Verzeihung, Captain Hunter, aber hier ist ein Bote von der Gouverneursresidenz. Der Gouverneur wünscht Eure Anwesenheit beim Dinner, Captain Hunter. Was soll ich sagen?«
Hunter rieb sich die Augen. Er blinzelte verschlafen im Tageslicht. »Wie spät ist es?«
»Fünf Uhr, Captain.«
»Sagt dem Gouverneur, ich komme.«
»Ja, Captain Hunter. Da ist noch was, Captain.«
»Was denn?«
»Der Franzose mit der Narbe ist unten. Er sucht nach Euch.«
Hunter schnaubte. »Ist gut, Mrs Denby.«
Die Tür schloss sich. Hunter stand auf. Die Frau schlief noch, schnarchte laut. Er sah sich im Zimmer um, das klein und eng war – ein Bett, eine Seetruhe mit seinen Habseligkeiten in einer Ecke, ein Nachttopf unter dem Bett, eine Schüssel mit Wasser in greifbarer Nähe. Er hustete, begann, sich anzuziehen, und urinierte zwischendurch aus dem Fenster auf die Straße. Ein lautstarker Fluch drang zu ihm hoch. Hunter grinste und zog sich weiter an, kramte sein einziges gutes Wams aus der Seetruhe und stieg in seine letzte Kniehose, an der nur ein paar Fäden ausfransten. Zum Schluss schnallte er sich seinen goldenen Gürtel mit dem kurzen Dolch um. Zu guter Letzt nahm er eine Pistole, schob eine Kugel in den Lauf und stopfte sie mit dem Ladestock fest; dann steckte er die geladene Waffe in den Gürtel.
So gestaltete sich in der Regel Captain Charles Hunters Toilette, wenn er abends bei Sonnenuntergang aufstand. Sie dauerte nur fünf Minuten, denn Hunter war kein pingeliger Mann. Und auch nicht gerade ein Puritaner, dachte er mit einem letzten Blick auf die Frau in seinem Bett. Dann schloss er die Tür und stieg die schmale, knarrende Holztreppe hinunter in den Schankraum von Mrs Denbys Gasthaus.
Der Schankraum war breit, hatte eine niedrige Decke und einen Boden aus festgetretener Erde, auf dem in langen Reihen etliche schwere Holztische aufgestellt waren. Hunter sah sich kurz um. Wie Mrs Denby gesagt hatte, war Levasseur da, saß in einer Ecke über einen Krug Wein gebeugt.
Hunter steuerte auf die Tür zu.
»Hunter!«, krächzte Levasseur mit betrunkener, belegter Stimme.
Hunter drehte sich um und tat überrascht. »Mensch, Levasseur, ich hab dich gar nicht gesehen.«
»Hunter, du Sohn eines englischen Straßenköters.«
»Levasseur«, erwiderte er und trat aus dem Licht, »du Sohn eines französischen Bauern und seines Lieblingsschafes, was machst du denn hier?«
Levasseur stand hinter dem Ti
sch auf. Er hatte sich eine dunkle Ecke ausgesucht. Hunter konnte ihn nicht gut sehen. Aber die beiden Männer waren etwa zehn Schritte voneinander entfernt – zu weit für einen Pistolenschuss.
»Hunter, ich will mein Geld.«
»Ich schulde dir kein Geld«, sagte Hunter. Und das war nicht gelogen. Unter den Freibeutern in Port Royal wurden Schulden vollständig und prompt beglichen. Es gab nichts Rufschädigenderes für einen Mann, als seine Schulden nicht zu bezahlen oder Beute nicht gerecht aufzuteilen. Wer bei einem Freibeuterraubzug versuchte, einen Teil der Beute für sich selbst abzuzweigen, wurde kurzerhand abgemurkst. Hunter selbst hatte schon mehr als einen diebischen Seemann mit einer Kugel ins Herz getötet und den Leichnam ohne Bedenken über Bord geworfen.
»Du hast mich beim Kartenspielen betrogen«, sagte Levasseur.
»So betrunken, wie du warst, kannst du den Unterschied kaum bemerkt haben.«
»Du hast mich betrogen. Du hast fünfzig Pfund genommen. Die will ich wiederhaben.«
Hunter sah sich im Raum um. Es gab keine Zeugen, was ungünstig war. Er wollte Levasseur nicht ohne Zeugen töten. Er hatte zu viele Feinde. »Wie soll ich dich denn betrogen haben?«, fragte er. Während er sprach, näherte er sich Levasseur ein wenig.
»Wie? Ist doch egal wie. Du hast mich betrogen, basta.« Levasseur hob den Krug an die Lippen.
Hunter nutzte den Augenblick und sprang vor. Er schlug mit der flachen Hand unten gegen den Krug und rammte ihn Levasseur ins Gesicht, sodass dessen Kopf nach hinten gegen die Wand prallte. Levasseur gurgelte und sackte zusammen, Blut tropfte ihm aus dem Mund. Hunter packte den Krug und schmetterte ihn auf Levasseurs Schädel. Der Franzose blieb bewusstlos liegen.
Hunter schüttelte den Wein von den Fingern, drehte sich um und verließ Mrs Denbys Gasthaus. Draußen trat er in den knöcheltiefen Matsch auf der Straße, achtete aber nicht darauf. Er dachte an Levasseurs Trunkenheit. Wie fahrlässig von ihm, sich zu betrinken, während er auf jemanden wartete.